Die abhängige Arbeit und warum sie nicht Ziel der Freiheit sein kann

Das Ende des Arbeitsethos

Bürogebäudekomplex

Warum machen wir das bloß?

Wir lassen uns vorschreiben, wo, wann und wie wir eine aufgezwungene, teils nutzlose und oft sogar gesellschaftlich schädliche Tätigkeit zu verrichten haben. Wir schuften 40 oder viel mehr Stunden in der Woche an Orten, wie Großraumbüros, nachdem wir uns umweltschädlich zusammen in der Masse durch den Stau zum Arbeitsplatz gezwängt haben und sind am Ende auch noch stolz darauf.

Gleichzeitig vernachlässigen wir unsere Familien, unsere Freunde und am Ende auch uns selbst. Kann man darauf stolz sein?

Gibt es nicht genug Untersuchungen, die zeigen, dass die Hälfte der Arbeitnehmer nur noch Dienst nach Vorschrift macht und ein großer Teil schon die innere Kündigung ausgesprochen hat? Fallen nicht die zunehmenden Fälle der Erschöpfungsdepression auf, die sich in manch Bekanntenkreis mehren?

Man lebt nur noch von Wochenende zu Wochenende, verbringt zu viel Zeit vor dem Fernseher und konsumiert ein künstliches Konservenleben. Ist das Leben?

Für 90 Prozent der Arbeitnehmer ist Arbeit mehr eine Quelle der Frustration als der Erfüllung, so die jüngste Ausgabe einer seit knapp 20 Jahren laufenden Befragung des Gallup-Instituts von 25 Millionen Menschen aus 189 Staaten. Die meisten also „verbringen die Hälfte ihres wachen Daseins damit, Dinge zu tun, die sie lieber nicht täten, und das an einem Ort, an dem sie lieber nicht wären“

Es wurde doch auch schon nachgewiesen, dass das am Arbeitsplatz herrschende Karrieresystem moralisch und sozial deformierte Subjekte zu sogenannten Vorgesetzten macht. Solche Menschen sollen über unser Leben bestimmen, unseren Urlaub genehmigen, Überstunden verhängen? Gleichzeitig soll man motiviert und fröhlich auftreten, denn Übellaunige sind Minderleister und verderben die Stimmung im Team.

Seitdem die Alternativlosigkeit, der Wettbewerb zwischen Allem und Jeden die Gesellschaft – auch im privatem Bereich – erfasst hat, steigt der Druck. Dieser kommt zum Teil direkt von oben (Du musst mehr leisten!),  zum Teil durch die Leistungspredigten der Arbeitgeber (Verbessere Dich!), zum anderen Teil ist er selbst auferlegt (Ich muss!).

Es sollten langsam Zweifel am Zweck dieses Daseins kommen. Zweifel daran, ob die Leistungssteigerung und die damit verbundene Zerstörung unserer physischen und psychischen Gesundheit uns zu Gute kommt oder ob dadurch nur der reiche Firmeninhaber noch reicher wird. Der, der immer von der Leistungsgesellschaft predigt und doch sein Vermögen leistungslos geerbt hat, ja mitunter nicht einmal Steuern auf diese Erbschaft gezahlt hat.

Wer den gesamten Irrsinn aus der Ferne betrachtet, kann nur zu dem Schluss kommen, dass ein abhängiges Arbeitsverhältnis nicht frei sein kann und wer daraus entfliehen will, hat sich entweder gut vorbereitet oder er wird der Hartz 4 Hölle anheim fallen.

Es ist die Angst vor dieser Hölle, die uns zu gehorsamen Arbeitern und Angestellten macht.

„Kein Mensch muss müssen! Man ist niemandem in der Welt etwas schuldig, als sich selber.“

Gotthold Ephraim Lessing (1729-81)

Die Rechtfertigung

Ja, es gibt Menschen, denen die Arbeit Spaß macht, die das auch jeden wissen lassen. Diese kann man vereinfacht in folgende Gruppen unterteilen:

  1. Die Ängstlichen, die vor der Überwachung ihrer Arbeitgeber kuschen, welche die Facebookkonten ihrer Mitarbeiter nach nicht erwünschten „systemwidrigen“ Aussagen durchstöbern. Diese Gruppe hat das System verstanden, aber noch keinen Ausweg gefunden.
  2. Die Menschen, die unter dem Stockholmsyndrom leiden, bei dem die Opfer von Geiselnahmen nach und nach ein positives Verhältnis zu ihren Peinigern aufbauen. Die Menschen dieser Gruppe haben im Allgemeinen noch nichts verstanden. Man könnte sie auch die glücklichen Sklaven nennen, bekanntermaßen die erbittertesten Feinde der Freiheit.
  3. Der geringe Anteil jener, denen ihre Tätigkeit wirklich Spaß macht und die auch in einem angenehmen Umfeld ausgeführt wird.

Allen, die zur dritten Gruppe zählen, kann ich nur aufrichtig zusprechen: Genießt es! Genießt jeden Tag! Es mag nichts besseres geben, als Menschen, die zum Beispiel in einem Geschäft zufrieden ebenso zufriedene Kunden bedienen. Das möchte man dann auch kaum noch als Arbeit bezeichnen.

Jedoch: Das Glück ist manchmal von kurzer Dauer. Das Unternehmen wird verkauft, der Chef wechselt, der Druck wächst, das Mobbing beginnt und es folgt der Absturz. Daher sollte man sich vorbereiten, lernen genügsam zu leben, soviel wie möglich zu sparen und Alternativen offen zu halten. Immer.

Die Gruppe des zweiten Punktes neigt dazu, ihre eigenen erzwungenen Beitrag grotesk zu überhöhen. Wenn man sich die meisten Tätigkeiten heute betrachtet, kommt man zu dem Schluss, dass viele davon nicht nur entbehrlich, sondern sogar gesellschaftlich schädlich sind.

Wozu denn?

Was verbessert sich durch die Ergebnisse unserer Arbeit in der Gesellschaft denn wirklich? Die Meisten produzieren nutzlose Waren, schaffen geistlose Unterhaltung, verkaufen gesundheitsschädliche Nahrung, produzieren Waffen oder zerstören unsere Umwelt. Viele beschäftigen sich mit einer parasitären Verwaltung in Unternehmen, deren Existenz nur Selbstzweck ist.

All diese Menschen mögen fleißig sein und sie bekommen für ihre Tätigkeit Anerkennung.

Aber wem würde es schaden, wenn diese Angestellten und Arbeiter zu Hause blieben, wenn der Stahl für die Waffen verrosten und das Marketing für Schädliches und Nutzloses unterbleiben würde?

Der Zweck des Karrierewahnsinns und das damit verbundene fragwürdige Ziel des Mehrverdienstes ist den meisten Menschen schon nicht mehr bewusst. Man kann es nur als ein Kreislauf der Verschwendung ansehen. Auf der einen Seite verschwindet Lebenszeit, wird eingetauscht gegen Geld, was dann zu einem zerstörenden Konsum von Sinnlosem führt, dessen Zweck nicht einmal der Käufer erfassen kann. Einen Konsum, der kurze Glücksmomente ähnlich eines Drogenrausches verspricht. Glücksmomente, die mit jedem Male kürzer werden.

Es Reicht

Zwei Worte, die den meisten Menschen nicht mehr geläufig sind. Die Gier nach mehr, mehr Elektrospielzeugen, größeren Autos, der Anspruch alles zu haben, jedoch mindestens mehr als der Nachbar, sind zu Triebfeder der Ausbeutung geworden, der fleißig von Marketingagenturen gefüttert wird: „Ich bin es mir wert“, „Das gönne ich mir“, „Unter dem Strich zähl ich“. Alleine schon diese Phrasen regen Narzissmus, Egoismus, die Sucht nach mehr an und für die Befriedigung dieser Sucht muss auch mehr gearbeitet werden.

„Reich ist man nicht durch das, was man besitzt, sondern mehr noch durch das, was man mit Würde zu entbehren weiß“.

Epikur von Samos

Wie schulden jedoch niemanden etwas, weder unsere Zeit noch unsere Arbeitskraft und noch viel weniger schulden wir all dies einem Wirtschaftssystem, das auf Umweltzerstörung und Ausbeutung von natürlichen und menschlichen Ressourcen basiert.

Das Privatleben sollte von allen kranken Aspekten der Arbeitswelt gereinigt werden. Ständige Optimierung sollte durch Muße, Wettbewerb  durch Kooperation und Statusdenken durch Bescheidenheit ersetzt werden und reden sollten wir miteinander, statt übereinander oder sogar gegeneinander zu reden.

Alles was zählt ist das Leben. Der Zeitraum zwischen Geburt und Tod und nicht der Kontostand am Todestag.

Was auch immer man macht, um der Arbeits- und Konsummühle ganz oder zumindest teilweise zu entrinnen. Das Ergebnis ist ein genügsamer, nachhaltiger Lebensstil, eben geprägt durch einen geringen materiellen Verbrauch, einen Reichtum an Zeit, Leben und schlussendlich Zufriedenheit.

Als ich fünf war, hat meine Mutter mir immer gesagt, dass es das wichtigste im Leben sei, glücklich zu sein.
Als ich in die Schule kam, baten sie mich aufzuschreiben, was ich später einmal werden möchte.
Ich schrieb auf: „Glücklich“.
Sie sagten mir, ich hätte die Frage nicht richtig verstanden und ich antwortete ihnen, dass sie das Leben nicht richtig verstanden hätten.

John Lennon
Anja Fahrner - Autorin
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